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Ideologie Moralismus

Eine Ideologie – das ist nichts anderes als die entschlackte Version eines Ideals. Ein Ideal, dem man alles genommen hat, was nachdenklich macht, was Zweifel aufwirft, was Begründung verlangt. Es bleibt eine pure Form, reduziert auf ein Schlagwort, ein Banner, das sich im Wind der Überzeugungen bläht, ohne jemals geerdet zu sein. Die Ideologie erhebt den Anspruch auf Wahrheit – und das ohne Nachweis. Sie braucht keine Argumente, sie benötigt keine Rechtfertigung, sie lebt von der Kraft der Wiederholung und der Gewalt des Ausschlusses.

Ist der Moralismus nicht genau dasselbe? Eine Pseudomoral, die sich selbst als Richterin über alles erhebt, ohne je den Grundsatz der Prüfung zuzulassen. Moralismus – das ist die reine Bewertung, losgelöst von ihrer Basis, losgelöst von den Maßstäben, die moralisches Urteil überhaupt erst rechtfertigen könnten. Es ist die Entrüstung als Selbstzweck, die Empörung als Identität, das Verdikt als Selbstbestätigung.

Und es ist genau dieser Schritt ins Bodenlose, der gefährlich wird: Wenn Überzeugungen nicht mehr der Begründung bedürfen, sondern als selbstverständlich gelten, wenn Widerspruch nicht mehr zum Dialog führt, sondern zum Ausschluss. Dann wird Ideologie zur Mauer und Moralismus zur Waffe. Dann endet das Gespräch und beginnt die Kategorisierung. Dann hört das Ringen um das Bessere auf, und es bleibt nur noch das Dekret: richtig oder falsch, gut oder böse – ohne Erklärung, ohne Begründung, ohne Zweifel.

Wir sollten uns nicht täuschen: Wer die Begründung scheut, der scheut die Freiheit. Wer den Dialog ablehnt, der hat sich bereits entschieden – nicht für das Bessere, sondern für das Starre. Und wo das Wort „selbstverständlich“ die Argumentation ersetzt, ist der Zweifel längst tot.

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