It's always been the economy, and it always will be, you pseudointellectual political moron!
Dieser - hier leicht modifizierte - Ausruf Bill Clintons (oder eigentlich seines Beraters James Carville) lässt das Grundproblem des Westens schlechterdings anklingen, welches weiterhin nicht ansatzweise einer Reparatur unterzogen wird.
Es gibt ein tiefgreifendes gesellschaftlich-wirtschaftliches Strukturproblem in den westlichen Industrieländern, das sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt hat. Dieses Problem manifestiert sich insbesondere in der abnehmenden Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten am wirtschaftlichen Wohlstand bzw. dessen Entwicklung, die meist mit dem Begriff der Einkommensschere veranschaulicht wird. Konzentriert man sich auf die wirtschaftliche Führungsnation des Westens und dessen ehemaligen Wirtschaftswunderknaben, so fällt auf, dass Letzterer zunächst einen strukturellen Ausweg gefunden zu haben schien (hohe und qualifizierte Arbeitsproduktivität in Schlüsselindustrien und überdurchschnittliche soziale Sicherungssysteme), dessen politisch-moralistischer Komplex diesen Ausweg jetzt aber endgültig zu zerschlagen versucht.
Dahinter steht eine geistesgeschichtliche Engleisung namens Postmodernismus, dessen überwältigende politische Wirksamkeit vor allem Folge der Übernahme durch die Politikerschichten des Westens sein dürfte, die darin einen reichhaltig gefüllten Baukasten mit Ablenkungsmanövern und Pseudoleitgedanken für ihre Politiken erkannt haben.
I. Das Problem des Westens: Globalisierung, verlängerte Werkbank und Illusion der Finanzwirtschaft
A. Der Westen / die USA im Allgemeinen
Die Verlagerung von Produktionsprozessen in sogenannte Billiglohnländer – oft als „verlängerte Werkbank“ bezeichnet – hat dazu geführt, dass viele industrielle Arbeitsplätze in den westlichen Ländern verloren gingen. Unternehmen konzentrierten sich zunehmend auf Design, Marketing und Management, während die eigentliche Produktion ausgelagert wurde. Dies ermöglichte hohe Gewinnmargen für Unternehmen, führte jedoch zu einer Erosion der industriellen Basis und zu einem Rückgang gut bezahlter Arbeitsplätze für weniger qualifizierte Arbeitnehmer.
Die Globalisierung und die damit verbundene Verlagerung industrieller Fertigung in Billiglohnländer führte im Westen – und insbesondere in den Vereinigten Staaten – nicht unmittelbar zu wirtschaftlichem Verfall. Vielmehr entstand zunächst eine neue, äußerst erfolgreiche volkswirtschaftliche Strategie: die internationale Anlagenpolitik.
Während Produktionsstätten nach Asien und andere Niedriglohnländer verlagert wurden, entwickelte sich im Westen – federführend in den USA – ein gigantischer Finanzsektor. Finanzprodukte wie Hedgefonds, Derivate, Kreditverbriefungen und komplexe Wertpapierkonstruktionen wurden nicht nur entwickelt, sondern weltweit erfolgreich vermarktet.
Diese Entwicklung führte zu einer neuen volkswirtschaftlichen Dynamik:
- Die Gewinne aus Finanztransaktionen überstiegen teilweise die klassische industrielle Produktion.
- Amerikanische Banken und Investmentgesellschaften wurden zu globalen Akteuren.
- Die Börsenmärkte in New York und London wuchsen zu Machtzentren der globalen Wirtschaft heran.
Die internationale Kapitalverflechtung sorgte dafür, dass Geldströme aus aller Welt in die westlichen Finanzmärkte flossen. Insbesondere aus Asien, das durch die industrielle Verlagerung massiv an Wohlstand gewonnen hatte, wurden erhebliche Kapitalmengen zurück in den Westen investiert. Diese Gelder trugen wesentlich zur Finanzierung der westlichen Wirtschaft bei und stabilisierten die Binnenkonjunktur trotz der Abwanderung industrieller Arbeitsplätze.
Trotz dieses anfänglichen Erfolgs traten grundlegende Strukturprobleme auf:
- Externe Kapitalabhängigkeit: Ein Großteil der Kapitalzuflüsse stammte aus Asien, dem Nahen Osten und anderen Regionen mit Handelsüberschüssen. Dadurch wurde die amerikanische Finanzindustrie in hohem Maße abhängig von ausländischen Investoren.
- Spekulationsblasen: Die massive Kapitalmenge, die in Finanzprodukte floss, schuf spekulative Übertreibungen – insbesondere am Immobilienmarkt (Subprime-Krise 2007/2008) und bei Technologiewerten (Dotcom-Blase 2000).
- Vermögenskonzentration: Die Erträge aus diesen Finanzinnovationen kamen hauptsächlich Kapitaleignern und Investmentgesellschaften zugute, während die arbeitende Bevölkerung zunehmend den Anschluss an den Wohlstand verlor.
Diese Strukturprobleme führten schließlich dazu, dass die US-Wirtschaft zwar auf dem Papier gigantische Wachstumsraten im Finanzsektor aufwies, die realwirtschaftliche Substanz jedoch immer weiter erodierte.
B. Die Bundesrepublik im Besonderen
In Deutschland spielte sich der beschriebene Verfall der industriellen Teilhabe anders ab als in den USA. Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Existenz hochproduktiver Leitindustrien, die den wirtschaftlichen Niedergang lange Zeit nicht nur abgefedert, sondern in weiten Teilen sogar verschleiert haben: die Autoindustrie und der Anlagenbau.
Deutschland galt über Jahrzehnte als die „Autonation“ schlechthin. Unternehmen wie Volkswagen, BMW, Mercedes-Benz und Audi dominierten nicht nur den europäischen, sondern auch den globalen Markt. Diese Unternehmen waren nicht nur technologisch führend, sondern auch massiv in die deutsche Wirtschaftsstruktur eingebettet. Die Wertschöpfungsketten reichten tief in die Zulieferindustrie hinein, die selbst wiederum millionenfach Arbeitsplätze schuf.
Ein Schlüssel zum Erfolg lag in der enormen hochqualitativen Arbeitsproduktivität der deutschen Industrie. Die Ingenieurnation Deutschland erreichte durch eine hervorragende technische Ausbildung und ein enges Zusammenspiel von Forschung, Entwicklung und Produktion ein weltweit einzigartiges Niveau. Selbst einfache Facharbeiter erzielten – gemessen an internationalen Standards – hohe Gehälter, die auch durch die Ertragsstärke der Unternehmen ermöglicht wurden. Dieser Wohlstand war aber nicht zuletzt auch Ergebnis der starken Verhandlungsposition der Gewerkschaften, die in den Hochphasen der Industrie hohe Tarifabschlüsse erzielen konnten und damit der Besonderheiten der weltweit einzigartigen deutschen sozialen Marktwirtschaft.
Neben der Autoindustrie ist der Anlagenbau eine zweite tragende Säule der deutschen Wirtschaft. Deutschland war über Jahrzehnte weltweit führend im Bereich des Maschinenbaus, der chemischen Industrieanlagen und der Energieinfrastruktur. Unternehmen wie Siemens, ThyssenKrupp, Bosch und viele mittelständische „Hidden Champions“ lieferten hochwertige technische Lösungen, die international gefragt waren. Auch hier sicherte die hohe Qualifikation der Arbeitnehmer gepaart mit technologischer Exzellenz stabile Arbeitsplätze und überdurchschnittliche Einkommen.
Dieses industrielle Fundament wurde in den letzten Jahren massiv geschwächt – nicht primär durch Globalisierung oder Konkurrenzdruck, sondern durch politische Eingriffe. Die politische Linke, die sich zunehmend auf ökologische Themen und gesellschaftliche Strukturveränderungen konzentrierte, förderte aktiv den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Die Diskreditierung des Verbrenners als „Umweltsünde“ führte zu einer politisch erzwungenen Transformation hin zur Elektromobilität – eine Technologie, in der Asien, insbesondere China, technologisch längst führend war.
Parallel dazu wurde die Energiepolitik radikal umstrukturiert. Die Entscheidung, sowohl aus der Kernenergie als auch aus der Kohleverstromung auszusteigen, führte zu massiven Kostensteigerungen in der Energieversorgung. Deutschland, das sich über Jahrzehnte durch seine kostengünstige und stabile Energieversorgung einen Wettbewerbsvorteil erarbeitet hatte, verlor diesen Vorteil zunehmend. Energiepreise stiegen, Produktionskosten zogen nach, und Industriezweige, die auf günstige Energie angewiesen sind, wurden wirtschaftlich geschwächt.
C. Sich zuspitzende Konsequenzen
Die Abhängigkeit von externem Kapital und die Verschuldungspolitik der Vereinigten Staaten haben mittlerweile ein Ausmaß erreicht, das volkswirtschaftlich kaum mehr zu tragen scheint. Die USA stehen vor einer Staatsschuld von über 31 Billionen Dollar (Stand 2025), was etwa 125 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Diese Schuldenlast ist nur tragbar, weil der Dollar als Weltleitwährung dient und die USA quasi unbegrenzt Anleihen begeben können.
JD Vance und andere wirtschaftspolitische Stimmen warnen vor einem möglichen Crash von ungeheuerlichem Ausmaß, wenn internationale Investoren das Vertrauen in die amerikanische Zahlungsfähigkeit verlieren oder der Dollar als Weltwährung infrage gestellt wird. Dies würde nicht nur die Finanzmärkte erschüttern, sondern auch die Binnenkonjunktur der Vereinigten Staaten schwer beschädigen.
Gleichzeitig zeigt sich, dass der Export von industrieller Produktion und die Konzentration auf Finanzinnovationen zu einer massiven Schwächung der Mittelschicht geführt hat – eine Entwicklung, die nun auch in Deutschland durch politische Eingriffe beschleunigt wird.
Es scheint, als würde Deutschland nun nachträglich denselben Kurs einschlagen: Die Schwächung der industriellen Basis durch politische Entscheidungen (insbesondere im Energiesektor und in der Automobilindustrie) und der Fokus auf Dienstleistungen und Finanzprodukte wiederholt die amerikanische Entwicklung. Auch hier zeichnet sich eine zunehmende Abhängigkeit von globalen Kapitalströmen und ein Rückgang der realwirtschaftlichen Produktion ab.
Die Parallelen sind unübersehbar:
- Die Abhängigkeit von internationalen Märkten und Kapitalflüssen wächst.
- Die industrielle Basis wird politisch geschwächt, die Finanzdienstleistungen sollten zwischenzeitlich an Bedeutung gewinnen.
- Die soziale Ungleichheit steigt, weil die Wertschöpfung nicht mehr in der Breite der Bevölkerung ankommt und die sozialen Sicherungssysteme insb. durch Migrationsexplosion überlastet werden.
Die Entwicklung in den Vereinigten Staaten zeigt, dass die Verlagerung der Produktion und der Aufbau eines Finanzsektors ohne industrielle Basis nur scheinbar Wohlstand schafft. Tatsächlich entsteht eine massive Abhängigkeit von externen Kapitalströmen und eine Konzentration des Wohlstandes in den Händen weniger. Deutschland scheint diese Entwicklung – politisch getrieben und wirtschaftlich unreflektiert – nachzuvollziehen, mit möglicherweise ebenso dramatischen Folgen.
Diese Entwicklung hat zu einer Polarisierung der Arbeitsmärkte geführt:
- Hochqualifizierte Arbeitnehmer in den Bereichen Technologie, Finanzen und Management profitieren weiterhin von hohen Einkommen und guten Beschäftigungsaussichten.
- Weniger qualifizierte Arbeitnehmer sehen sich hingegen mit unsicheren Arbeitsverhältnissen, stagnierenden Löhnen und geringeren Aufstiegschancen konfrontiert.
Diese Ungleichheiten tragen zu sozialen Spannungen bei und untergraben das Vertrauen in wirtschaftliche und politische Institutionen.
Als weiterer destabilisierender Faktor zeigt sich eine gesellschaftspolitisch forcierte Massenmigration, die sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert wurde. In den USA führte diese Entwicklung zu einer dramatischen Belastung des Niedriglohnsektors: Der Druck auf Arbeitsplätze stieg, Löhne stagnierten oder sanken, und die Konkurrenz um begrenzte soziale Leistungen verschärfte sich. In Deutschland hingegen wirkt sich die massive Zuwanderung vor allem auf die sozialen Sicherungssysteme aus, die mittlerweile an die Grenze der Finanzierbarkeit stoßen. Die Kosten für Unterbringung, Integration, Gesundheitsversorgung und soziale Leistungen explodieren, während der Zugang zu Wohnraum und sozialen Angeboten für die einheimische Bevölkerung zunehmend eingeschränkt wird. Auch hier zeigt sich eine Parallele: Die politisch getriebene Öffnung für Migration erfolgt ohne hinreichende Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Tragfähigkeit, was bestehende soziale Spannungen weiter verschärft und das Vertrauen in die politischen Institutionen unterminiert.
II. Die Ignoranz der weltweiten gesellschaftspolitischen Linken
A. Der ideologische Unterbau: Postmodernismus und politische Transformation
Die beschriebenen Entwicklungen sind nicht bloße Ergebnisse wirtschaftspolitischer Fehlentscheidungen oder kurzfristiger strategischer Fehler. Vielmehr sind sie Ausdruck politischer Fehler in Folge einer tiefgreifenden ideologischen Neuausrichtung, die sich aus den geistesgeschichtlichen Strömungen der französischen Poststrukturalisten und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung speist.
In den 1960er und 1970er Jahren legten Denker wie Michel Foucault, Jacques Derrida und Jean-François Lyotard das Fundament für ein Verständnis gesellschaftlicher Strukturen, das nicht mehr auf objektive Wahrheiten, das Erkennen universeller Prinzipien und eine konservative Grundhaltung des Fortführens von Bewährtem setzt, sondern auf die Dekonstruktion von Machtverhältnissen und „diskursive Konstruktionen“. Der Postmodernismus, der sich aus diesen Theorien entwickelte, verwarf den Glauben an große Erzählungen („metanarratives“) wie Fortschritt, Rationalität oder eine objektive ökonomische Logik und Sinnhaftigkeit von Wohlstand.. Stattdessen rückte die Entlarvung von Machtmechanismen und die Hinterfragung „herrschender Diskurse“ in den Vordergrund.
Diese philosophische Grundhaltung verfestigte sich insbesondere im linken politischen Spektrum der westlichen Welt, verstärkt durch die Erfolge der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Der Fokus auf Diskriminierung, soziale Ungerechtigkeit und Minderheitenrechte verschob das politische Gewicht weg von den eigentlichen wirtschaftlichen Hintergründen hin zu Identitätspolitik und der Dekonstruktion „unterdrückerischer Strukturen“. Während die Bürgerrechtsbewegung berechtigte Forderungen nach Gleichberechtigung und Teilhabe aufwarf, transformierte sich diese Bewegung im Zuge der kulturellen Entwicklungen der 1980er und 1990er Jahre zu einer umfassenden Gesellschaftskritik, die nicht mehr auf Gleichberechtigung im Sinne der Chancengleichheit („Equality of Opportunity“) abzielte, sondern auf eine faktische Gleichheit der Ergebnisse („Equality of Outcome“) – oftmals euphemistisch als „Equity“ bezeichnet.
Dieser Wandel hat tiefgreifende Auswirkungen auf die wirtschaftspolitische Ausrichtung westlicher Staaten – insbesondere der USA und Deutschlands. Anstatt auf industriellen Fortschritt und ökonomische Wertschöpfung zu setzen, rückten „gesellschaftliche Gerechtigkeit“, „Anti-Diskriminierung“ und der Abbau vermeintlicher „struktureller Ungerechtigkeiten“ in den Vordergrund. Politische Programme wurden zunehmend an postmodernen Konzepten wie dem „Intersektionalismus“ ausgerichtet, der nicht nur individuelle Benachteiligungen, sondern die Überschneidungen („Intersections“) von Diskriminierungskategorien in den Mittelpunkt stellte. Hierbei wurde der Schutz und die Förderung von Minderheiten nicht mehr als gleichberechtigtes Ziel innerhalb einer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft betrachtet, sondern zur zentralen politischen Agenda erhoben – oftmals verbunden mit einer Abwertung klassischer Wertschöpfungsprozesse.
B. Wirtschaftspolitisches Vakuum und geistige Inkompetenz
Während der industrielle Sektor sukzessive geschwächt wurde, insbesondere in Schlüsselindustrien wie der Automobilbranche und der Energieversorgung, verstärkte sich der ideologische Fokus auf soziale Gleichheit und Umweltpolitik. Die Abkehr von marktwirtschaftlich orientierten Grundsätzen zugunsten gesellschaftspolitischer Experimente führte zu einer wirtschaftspolitischen Entkernung. Die Transformation hin zur Elektromobilität und der gleichzeitige Ausstieg aus Kohle und Kernenergie erfolgten nicht aus wirtschaftlicher Rationalität, sondern waren primär ideologisch motiviert – getragen von der Überzeugung, gesellschaftliche Veränderung über technologische Umwälzungen erzwingen zu können.
In diesem Kontext wird deutlich, dass der Verlust wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit nicht nur eine Folge globaler Konkurrenz oder technologischer Rückständigkeit ist, sondern vielmehr eine Konsequenz ideologischer Verirrungen. Der postmoderne Gedanke, gesellschaftliche Strukturen radikal neu definieren zu müssen, ohne dabei ökonomische Realitäten hinreichend zu berücksichtigen oder auch nur zu respektieren, schwächte sukzessive die volkswirtschaftliche Basis fast des gesamten Westens. Während asiatische Volkswirtschaften, insbesondere China, gezielt in industrielle Produktion und technologische Dominanz investierten, verloren westliche Staaten zunehmend an Produktionskapazität und technologischer Führungsstärke. Sie haben gewissermaßen den volkswirtschaftlichen „roten Faden“ verloren, weil sie wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen als gegeben erachteten und sich allenfalls kritisch mit ihnen als potentielle Ursache von gesellschaftlichen Fehlentwicklungen auseinandersetzten.
Francis Fukuyamas ‚The End of History and the Last Man‘ wurde von vielen als Anlass für einen geistesgeschichtlichen Neuanfang interpretiert, der die liberale Demokratie mit ihrer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht als Endpunkt der ideologischen Entwicklung anerkennen wollte, da sie keine gesellschaftliche Stabilität, sondern immer noch soziale Ungleichheiten, strukturelle Verwerfungen und politische Fragmentierungen mit sich brachte. Gerade die wirtschaftliche Liberalisierung und die Globalisierung führten zu einem radikalen Umbau der Arbeitsmärkte, der Erosion industrieller Wertschöpfung im Westen und der massiven Verschiebung ökonomischer Macht nach Asien. Diese Entwicklungen riefen neue, oft nostalgisch rückwärtsgewandte Strukturgedanken hervor, die vermeintliche Alternativen zum globalen Kapitalismus versprechen. Interessanterweise greifen viele dieser neuen Entwürfe – ob in Form von ökologisch orientierten Gemeinwohlökonomien, sozialistischen Renaissance-Versuchen oder protektionistischen Wirtschaftsmodellen – auf Konzepte zurück, die bereits in den ideologischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts gescheitert sind. Es scheint, als würde die politische und ökonomische Ordnung, im Angesicht von wirtschaftlicher Ungleichheit und gesellschaftlicher Spannungen, nun jene Ideen reaktivieren, die mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus historisch widerlegt schienen, jedoch durch fortbestehende Missstände des sog. „Kapitalismus“ eine neue Attraktivität gewinnen. Dabei zeigt sich eine bemerkenswerte Paradoxie: Die als „endgültig überwunden“ geltenden Theorien feiern nun unter anderen Vorzeichen eine Renaissance, weil der globalisierte Marktliberalismus seine Versprechen auf allgemeinen weltweiten Wohlstand und soziale Stabilität nicht umgehend einlösen konnte.
Die hochkomplexen Strukturen und Strukturprobleme einer globalisierten Marktwirtschaft stellen Herausforderungen dar, die das politische System der westlichen Demokratien zunehmend überfordern. Der Anspruch, ein weltweit aufgefächertes Wohlstandsspektrum auszugleichen, soziale Marktwirtschaften weiterzuentwickeln und liberale Demokratien zu restaurieren, erfordert ein Maß an strategischer Kompetenz, intellektueller Tiefenschärfe und wirtschaftspolitischem Verständnis, das im gegenwärtigen politischen Betrieb kaum zu finden ist. Eine wesentliche Ursache hierfür liegt in der Professionalisierung der Politik: Berufspolitiker, die sich über Jahrzehnte in geschlossenen Machtstrukturen bewegen, sind weniger an der Lösung realwirtschaftlicher Probleme interessiert als an der Sicherung ihrer eigenen Machtbasis. Die Möglichkeiten der politischen Einflussnahme und die damit verbundene Aussicht auf persönlichen Wohlstand (den sie außerhalb der Politik meist nie erreichen könnten), gepaart mit dem strategischen Einsatz politischer Netzwerke, schaffen Anreize für Korruption und persönliche Bereicherung – subtil, legalistisch verbrämt und oft als „Postenrotation“ getarnt.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Fokussierung auf intellektuell unterkomplexe Themen wie Klima-Woodoo, Wokeness, Intersektionalismus, Wertepolitik und vermeintlich moralische Kämpfe um soziale Gerechtigkeit als politisches Ablenkungsmanöver. Diese diskursiven Schlachtfelder bieten die Möglichkeit, moralische Überlegenheit zu inszenieren, ohne sich den ebenso drängenden wie anspruchsvollen realpolitischen Fragen der Gegenwart stellen zu müssen: der Erosion industrieller Wertschöpfung, der Abhängigkeit von globalen Wirtschaftszusammenhängen, der zunehmenden Staatsverschuldung, der schwindenden sozialen Mobilität und einem nachlassenden Bildungsdrang. Die diskursive Verschiebung hin zu identitätspolitischen Themen ermöglicht es der politischen Klasse, Verantwortung zu umgehen und intellektuelle Defizite durch eine vermeintliche moralische Erhabenheit zu kaschieren.
Tatsächlich erfordert die Bewältigung der globalen Herausforderungen ein tiefes Verständnis ökonomischer Zusammenhänge, technologische Weitsicht und die Fähigkeit, komplexe, miteinander verflochtene Krisen ganzheitlich zu begreifen. Der westlichen Politik scheint jedoch ein intellektueller Rückzug angetreten zu sein – hinein in ideologische Komfortzonen, in denen moralisches Pathos und gesellschaftspolitische Symboldebatten die wirtschaftlichen Realitäten überdecken. Die inszenierte moralische Dringlichkeit der „Wertepolitik“ dient dabei vor allem der Selbstlegitimation einer politischen Elite, die angesichts realer wirtschaftlicher und sozialer Verwerfungen zunehmend handlungsunfähig wirkt.
In dieser Konstellation zeigt sich eine bittere Ironie: Während die politische Klasse sich in ideologischen Scheindebatten verliert, vollzieht sich im Hintergrund eine dramatische wirtschaftliche Transformation, die fundamentale Grundlagen westlicher Wohlstandsgesellschaften untergräbt. Der vermeintliche Kampf um „soziale Gerechtigkeit“ und „moralische Werte“ wird so zur Bühne einer politischen Elite, die nicht mehr in der Lage ist – oder auch gar nicht mehr willens ist –, die hyperkomplexen Herausforderungen der globalen Wirtschaft zu begreifen und zu gestalten. Stattdessen wird der moralische Diskurs zur Ersatzhandlung, um die intellektuelle Überforderung und die offenkundige wirtschaftspolitische Inkompetenz zu kaschieren.