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Kohls Mädchen

Angela Merkel versucht derzeit, das Urteil über ihre Kanzlerschaft mit wohlgesetzten, selbstkritischen Äußerungen zu beeinflussen. Sie präsentiert sich als reflektierte Altkanzlerin, die bereit ist, Fehler einzuräumen. Und in Teilen der Öffentlichkeit verfängt dieses Spiel erstaunlich gut: Kritikern gilt es plötzlich als Zeichen der Größe, wenn sie selbst auf Distanz zu eigenen Entscheidungen geht. Befürworter wiederum sehen darin den Beweis einer vermeintlich vorbildlichen Staatsfrau. Doch die Wahrheit ist unbequemer: Diese Inszenierung ändert nichts an der tatsächlichen Bilanz ihrer Amtszeit – und die war für Deutschland nachgerade verheerend.

Es muss immer und unbedingt im Vordergrund stehen: Merkels Politik hat tiefe Spuren in unserem Land hinterlassen, Spuren, deren Beseitigung vermutlich Jahrzehnte dauern wird. Das betrifft Energie- und Migrationspolitik ebenso wie die Verfasstheit der Europäischen Union, die mangelnde Antifragilität von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und die innere Stabilität der Gesellschaft. Die Schäden sind nicht kosmetischer, sondern struktureller Natur.

Unstreitig ist, dass Merkel eine herausragende Begabung hatte: ein feines Gespür für Macht. Von Anfang an war dies ihr Schlüssel zum Erfolg. „Kohls Mädchen“ verstand es, im richtigen Moment zuzuschlagen – ohne Zögern, ohne Skrupel. Ihre Karriereambitionen und ihr Bedürfnis nach Machterhalt standen stets im Zentrum. Und wer wie Friedrich Merz heute über Jahrzehnte hinweg einen mühseligen Kampf an die Spitze führen musste, weiß am besten, wie gnadenlos Merkel Konkurrenten ausschaltete. Auch wenn er es öffentlich nicht einräumen mag: Die Erfahrung, von Merkel aus dem Weg geräumt zu werden, hat seine politische Laufbahn geprägt.

Bemerkenswert bleibt, dass Merkel es verstand, ihre Machtambitionen geschickt zu kaschieren. Hinter einer Fassade aus Freundlichkeit, manchmal gar scheinbarer Bescheidenheit, verbarg sich ein machtbewusstes Kalkül. Genau diese Mischung aus Takt und Härte, aus Lächeln und Schlag, machte sie so erfolgreich – und zugleich so gefährlich für die politische Kultur.

Nun wäre es naiv zu glauben, persönliche Machtambitionen seien mit dem Beruf des Politikers unvereinbar. Im Gegenteil: Ohne Machtwillen und ohne strategisches Geschick dabei kommt niemand an die Spitze – das gilt für alle Lebensbereiche. Aber entscheidend ist, wohin diese Macht strebt. Und bei Merkel zeigte sich: Ab einem bestimmten Zeitpunkt diente sie nicht mehr der Sache, nicht mehr dem Wohl des Landes, sondern fast ausschließlich dem eigenen Machterhalt. Die eigentliche Aufgabe des Bundeskanzlers – die Wohlfahrt des deutschen Volkes und auch der Gesamtbevölkerung des Landes zu fördern und die Interessen Deutschlands treuhänderisch in der Welt geschickt zu vertreten – geriet in den Hintergrund.

Das Ergebnis war eine Politik der Anpassung und des Aussitzens. Entscheidungen wurden weniger aus Staatsräson, sondern primär aus parteitaktischem Kalkül gefällt: der abrupte Atomausstieg nach Fukushima, das Durchregieren in der Eurokrise, das Chaos in der Migrationspolitik 2015, die Lähmung in der Europapolitik und die unglaubliche Anmaßung in Bekämpfung der vermeintlichen Pandemie. Diese Muster eint, dass sie nie auf langfristige Lösungen zielten, sondern auf kurzfristige Stabilität der eigenen Machtbasis. So entstand eine Republik des Stillstands, die Konflikte vertagte und Probleme vernebelte und verschärfte.

Natürlich geht es hier nicht um strafrechtliche Schuld. Doch politisch braucht es ein klares Urteil. Denn wie im Strafrecht die Generalprävention gilt, so muss auch in der Politik ein warnendes Beispiel sichtbar werden. Die Beurteilung von Merkels Kanzlerschaft muss kommenden Generationen zeigen: Wer das Amt mit dem eigenen Karriereprojekt verwechselt, schadet dem Land nachhaltig. Wer den parteiinternen Machtkampf zwanghaft ins Amt hineinträgt, zerstört nicht nur Vertrauen und Handlungsfähigkeit, sondern vor allem auch sein politisches Lebenswerk.

Merkel hat bewiesen, wie weit man mit taktischem Geschick, Anpassung und Machtbewusstsein kommen kann. Aber sie hat auch gezeigt, wie groß die Schäden sind, wenn der Machterhalt zum obersten Maßstab wird. Ihre politische Lebensleistung kann deshalb nicht milde, nicht versöhnlich beurteilt werden. Sie ist im Kern ein Menetekel – ein warnendes Zeichen.

Gerade darin liegt die eigentliche Lehre. Es geht nicht um persönliche Sympathien oder Antipathien, nicht um Schwarz oder Weiß. Es geht um die Frage, ob politische Führung Verantwortung für das Ganze übernimmt – oder ob sie sich selbst genügt. Angela Merkel war eine Meisterin der Macht. Aber eben weil sie die Macht zum Selbstzweck machte, bleibt ihr Erbe zwiespältig – und eine Mahnung für alle, die nach ihr Verantwortung tragen. Dass Friedrich Merz diese Mahnung und Warnung nicht zu hören in der Lage ist, beweist er derzeit praktisch jeden Tag – er bleibt damit Merkels Opfer.

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