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Manifest: der Bullshit-Lackmustests

Der für das Verständnis des seit Jahrzehnten vorherrschenden Zeitgeists aufschlussreichste Essay "On Bullshit" von Harry G. Frankfurt erläutert umfassend seine Kernaussage, wonach die größte gesellschaftliche Diskursgefahr von Äußerungen ausgeht, denen es bewusst weniger darum geht Wahres zum Ausdruck zu bringen, sondern gut dazustehen, Anklang zu finden und sich der Mehrheits- oder Elitenmeinung anzuschmiegen. Bullshit ist eine Form der sprachlichen Äußerung, bei der es dem Sprecher nicht darum geht, ob das Gesagte wahr oder falsch ist – sondern nur darum, einen bestimmten Eindruck zu erzeugen. Frankfurt sieht in Bullshit eine größere Gefahr für die Gesellschaft als in der Lüge. Denn Bullshit untergräbt das Verhältnis zur Wahrheit selbst – nicht durch Angriff, sondern durch Gleichgültigkeit.

„Bullshit is a greater enemy of the truth than lies are.“

Der Autor hat zunehmend das Gefühl, in Bullshit zu ersaufen. Es ist deshalb Zeit für ein Anti-Bullshit-Manifest:

 

Präambel:

In einer Zeit fabulierender Komplexität und rhetorischer Überfrachtung wird es immer schwieriger, echte intellektuelle Annäherung an Wirklichkeit von bloßer Konsenspflege zu unterscheiden.
Der Bullshit-Lackmustest tritt an, diese Unterscheidung schärfer sichtbar zu machen.

1. Wirklichkeit über Zustimmung.

Jede ernsthafte intellektuelle Äußerung muss sich am Versuch messen lassen, Wirklichkeit in ihrer Tiefe, Vorläufigkeit und Widersprüchlichkeit zu erfassen – nicht daran, wie gut sie sich an bestehende Meinungen anschmiegt.

2. Prüfung der inneren Absicht.

Nicht Form, Stil oder äußere Plausibilität sind entscheidend, sondern der Beweggrund der Äußerung. Ist sie auf ein Anschmiegen an die schon gesalbten Äußerungen hin angelegt?

3. Ablehnung sozialer Gefälligkeit.

Texte und Reden, deren Hauptzweck darin besteht, erwartungskonforme Zustimmung zu erzeugen, sind Bullshit – unabhängig davon, wie intelligent oder wohlklingend sie erscheinen.

4. Mut zur Irritation.

Wer Wirklichkeit ernsthaft sucht, muss bereit sein, herrschende Deutungsmuster zu irritieren. Wo diese Bereitschaft fehlt, beginnt das hohle Geschäft der bloßen Bestätigung.

5. Irrtum ist kein Makel.

Eine Darstellung kann sich in der Sache irren und dennoch glaubwürdig sein, wenn sie dem Ernst der Wirklichkeitssuche verpflichtet bleibt. Wahrheitstreue ist eine Frage der Dringlichkeit, nicht der momentanen Richtigkeit.

6. Intellektuelle Redlichkeit als Maßstab.

Wirklichkeitssuche ist ein Ethos. Sie verlangt Bereitschaft zur Selbstkorrektur, Widerstand gegenüber Gruppendruck und Offenheit für das Unbequeme.

Schluss:

Der Bullshit-Lackmustest ist kein Werkzeug der Denunziation, sondern der Klärung:

Er will erinnern an den eigentlichen Auftrag des Denkens – nicht zu gefallen, sondern zu verstehen.

Sucht es Wahrheit – oder nur Anschluss?

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