Verfassungsfeinde
In einem demokratischen Rechtsstaat steht die freiheitlich-demokratische Grundordnung u. A. auf den Fundamenten der freien Willensbildung des Volkes, des Pluralismus und der Gleichheit politischer Parteien. Die verfassungsrechtliche Architektur der Bundesrepublik Deutschland misst den Parteien in Art. 21 GG eine zentrale Stellung bei – sie sind „an der politischen Willensbildung des Volkes“ nicht nur beteiligt, sondern „wirken mit“. Daraus erwächst das sogenannte Parteienprivileg, wonach eine Partei nur durch ein Verfahren nach Art. 21 Abs. 4 GG verboten werden kann und bis zu einem solchen Verbot keine Partei wegen ihrer politischen Ziele oder ihrer Betätigung staatlich benachteiligt werden darf. Das Bundesverfassungsgericht spitzt es zu: „Das Parteienprivileg schützt die Partei gegen Maßnahmen aller Staatsorgane, die sich auf die behauptete Verfassungswidrigkeit stützen.“ (BVerfG, Urteil vom 17.01.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 581).
Vor diesem Hintergrund ist staatliches Handeln gegenüber jeder Partei – ungeachtet ihrer Inhalte oder Popularität – strikt an die staatliche Neutralitätspflicht gebunden. Dies gilt insbesondere für Organe der Exekutive, die nicht Träger freier politischer Meinungsäußerungsrechte sind, sondern hoheitlich agieren und einer unbedingten Pflicht zur weitestmöglicher Zurückhaltung unterliegen.
Wenn jedoch die Bundesinnenministerin als Inhaberin der Fachaufsicht des Bundesamtes für Verfassungsschutz – in offenkundig strategischer Übereinstimmung mit diesem Geheimdienst eine im Bundestag vertretene Oppositionspartei als „gesichert rechtsextrem“ einstuft und öffentlich als solche kennzeichnet, stellt sich mit wachsender Schärfe die Frage nach einem verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriff in den Prozess demokratischer Willensbildung.
Die durch das Parteienprivileg geschützte Rolle der Opposition wird damit unterlaufen – nicht etwa durch gerichtliche Entscheidung, sondern durch Exekutivmaßnahmen unter dem Mantel „verfassungsschutzrechtlicher Einschätzung“. Was formal als Einstufung durch den Verfassungsschutz erscheint, ist im Ergebnis ein öffentlichkeitswirksames Stigma, das auf politische Marginalisierung zielt und sich direkt auf das Wahlverhalten auswirken soll. Die Bundesregierung greift damit nicht bloß analytisch, sondern strategisch in das politische Wettbewerbsgeschehen ein – dies widerspricht systematisch dem in Art. 20 Abs. 2 GG garantierten Demokratieprinzip.
Man wird kaum verneinen können, dass ein Viertel der deutschen Wahlbevölkerung sich nach derzeitigen Umfragen durch die AfD am besten politisch repräsentiert fühlt. In einer pluralistischen Demokratie ist es nicht die Aufgabe der Exekutive, diese Präferenzen zu korrigieren, sondern sie in institutionellen Prozessen zu berücksichtigen – bis und sofern das Bundesverfassungsgericht etwas anderes entscheidet, was nach allen rechtlichen und politischen Voraussetzungen im Fall der AfD schlicht ausgeschlossen erscheint.
Die Tatsache, dass ein Verfassungsschutzamt durch ministerielle Leitung zum aktiven Akteur im politischen Meinungskampf wird, lässt eine institutionelle Grenzüberschreitung erkennen. Wenn ein Inlandsgeheimdienst mit demokratischer Legitimation nur deshalb als legitim angesehen wird, weil er angeblich die Verfassung verteidigt, aber dabei selbst verfassungsrechtlich höchst fragwürdig handelt, stellt sich die berechtigte Frage nach seiner Existenzberechtigung im aktuellen Gewand.
Wer also entscheidet über Verfassungsfeindlichkeit? In einem funktionierenden Rechtsstaat ist es das Bundesverfassungsgericht – und weder das politische Kalkül der Exekutive noch gar die politischen Wettbewerber mit Hilfe der von ihnen beherrschten staatlichen Machtinstrumente. In dem Maße, wie diese Grundsätze durchbrochen werden, stellen sich die staatlich organisierten Bekämpfungen der Opposition als verfassungsfeindliche Umtriebe dar.
Wenn der Staat sich mit den Mitteln eines politischen Sicherheitsrechts daranmacht, demokratische Mandate indirekt zu neutralisieren und die politische Willensbildung, die nunmal nur eine Richtung kennt, aktiv zu behindern, gefährdet er selbst die freiheitlich-demokratische Grundordnung, deren Schutz er verfassungsrechtlich sicherzustellen hat.
Wir werden von Verfassungsfeinden regiert – an dieser Feststellung führt seit dem 2. Mai 2025 kein Weg mehr vorbei.